Bibliothek im Eis


Antarktis 70° 39‘S/08°15‘W

seit 2009: 70°40,8'S/08°16,2'W


Im nördlichen Weddelmeer, auf dem Ekström-Schelfeis, befindet sich die Deutsche Forschungsstation "Neumayer". Aus technischen Gründen ist die Station unter dem Eis erbaut, funktional ausgestattet und neonbeleuchtet sind die Arbeits- und Lebensräume der 9 Wissenschaftler, die dort 15 Monate überwintern. Kein Tageslicht dringt in die Station, kein Fenster eröffnet den Blick in die Weite der Antarktis.

Im Januar 2005 wurde auf dem Eis, in unmittelbarer Nähe zur Forschungsstation die "Bibliothek im Eis", ein Kunstprojekt, eine Skulptur des Künstlers Lutz Fritsch eingeweiht. 10 Jahre zuvor, im Winter 1994/95 nahm Lutz Fritsch erstmals als Künstler zusammen mit Naturwissenschaftlern an der Expedition ANT-XII-2 des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung, Bremerhaven, in die Antarktis teil. Ziel war die Deutsche Forschungsstation "Neumayer". Dort angekommen erforschte Fritsch die Weite, Beschaffenheit und Befindlichkeit dieses Extremraumes. Er erlebte die Maßstabslosigkeit, die Unwirtlichkeit der Antarktis sowie die Enge und Funktionalität der unter dem Eis erbauten Station. "Mich faszinierte die Weite, die Maßstabslosigkeit des Naturraums, die Ästhetik der dem Eis innewohnenden Kräfte sowie der Kontrast zwischen der Zivilisations-Geschwindigkeit und der Langsamkeit und scheinbaren Raum-Zeitlosigkeit dieses Naturraums am Ende der Welt", so Fritsch. In diesem Spannungsfeld entstand die Idee für einen speziellen Raum auf dem Eis, abseits der Station. Aufgrund vieler Diskussionen des Künstlers mit den Naturwissenschaftlern über Sehen und Empfinden, über Erfahren und Messen, über Phänomene und Datenreihen entwickelte sich ein spannender Dialog zwischen Kunst und Wissenschaft, den Lutz Fritsch fortsetzen wollte. Aus diesen Erlebnissen heraus, den Ort vor Augen, entwickelte Fritsch schon 1994 die Idee zu einem Kunstwerk: die "Bibliothek im Eis".
Ein Gebäude auf dem Eis, ein Rückzugsort, ein Raum der Kontemplation, der Ruhe zum Nachdenken über das Sein in der Antarktis, über Natur und Zivilisation und über den Umgang mit Raum und Umwelt. Das Kunstwerk ist aber nicht einfach nur ein Raum auf dem Eis, sondern es ist eine real benutzbare Bibliothek mit 1000 Büchern, die im Sinne der Fortführung des Dialogs von Kunst und Wissenschaft gestiftet sind. Gestiftet von Künstlern und Wissenschaftlern aller Disziplinen, die Fritsch persönlich angeschrieben und gebeten hat, ein Buch für diesen speziellen Ort auszuwählen und zu stiften. Jeder Stifter schreibt vorne in das Buch seinen Namen und einen kurzen Kommentar. So entstand eine einzigartige Bibliothek am südlichsten Ende der Welt, ein Raum auf dem Eis, der Gegenpol zur Forschungsstation im Spannungsgefüge zur Weite des Naturraums: Die "Bibliothek im Eis".

Das Bauwerk ist ein speziell isolierter 20-Fuss-Container, dessen Außenwände jeweils in einem anderen Grünton lackiert sind: maigrün, smaragdgrün, gelbgrün, laubgrün. Grün ist die Farbe, die den im Eis lebenden Wissenschaftlern vollständig fehlt, es ist die Sehnsuchtsfarbe. Denn so weit das Auge reicht, beherrschen Schnee und Eis die Weite der Antarktis. Der Boden und das Dach der Bibliothek sind leuchtend rot lackiert. Damit bildet die "Bibliothek im Eis" einen Orientierungspunkt, eine Landmarke, die schon von weitem zu sehen ist. Von nahem ist sie ein grüner Ort, ein Raum voller Bücher im Angesicht des Horizonts.

Das Innere der Bibliothek besteht aus zwei Räumen, einem kleinen Vorraum mit Garderobe und Ablage und dem eigentlichen Leseraum mit Fenster. Es ist ein beheizter Raum, ausgelegt mit Teppichboden, eingerichtet mit warmtonigen Kirschholzregalen, einem bequemen Ledersofa mit Kissen. Die Wände sind mit Stoff bespannt und vor dem Fenster steht ein Schreibtisch mit Sessel. Indirektes Licht beleuchtet die Bücher in den Regalen, verschiedene Lichtquellen und Leselampen lassen sich individuell einstellen und schaffen ein warmes Raumlicht.

Der Bibliotheks-Container wurde mit Unterstützung des Alfred-Wegener-Instituts gebaut und im Winter 2003/04 auf dem deutschen Forschungsschiff "Polarstern" in die Antarktis gebracht. Ferner unterstützte die Kulturstiftung NRW das Kunstprojekt und der Innenausbau der Bibliothek erfolgte im wesentlichen mit Hilfe privater Sponsoren. Im Winter 2004/05 wurde die Bibliothek von Lutz Fritsch in der Antarktis aufgebaut und die Bücher eingestellt. Zur Einweihung der Station "Neumayer III" im Februar 2009 ist auch die "Bibliothek im Eis" zu ihrer neuen Position auf 70°40,8'S/08°16,2'W umgezogen.

 

Bibliothek im Eis Antarktis                           Lutz Fritsch